Wenn Vadim Otto Ursus von seinem bisherigen Werdegang erzählt, ist es kaum zu glauben, dass dieser Mann erst 28 Jahre alt ist. Aufgewachsen zwischen Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg verschlug es ihn nach seiner Ausbildung schon bald in die Ferne, um von den Besten zu lernen. Nach einem Praktikum im 2-Sterne-Restaurant KOKS auf den Färöer Inseln wurde er kurzerhand zum Chef de Partie. Nach einem kurzen Zwischenstopp im Osloer 3-Sterne-Restaurant Maaemo kehrte Vadim als Sous Chef ins KOKS zurück. Weil ihm die Färöer Inseln auf Dauer zu einsam waren, ging es zurück in die Heimat und anschließend nach Mexiko. Dort lernte er durch einen glücklichen Zufall die Leute vom Noma kennen – einem 2-Sterne-Restaurant in Kopenhagen und laut Vadim das „mit Abstand beste und interessanteste Restaurant der Welt“ – und konnte so einige Monate in ihrem Pop-up-Restaurant im mexikanischen Tulum arbeiten. Zurück in Berlin eröffnete er vor einem Jahr seinen ersten eigenen Laden: das otto im Prenzlauer Berg. Unsere Autorin hat mit ihm über seine Arbeit und nachhaltiges Kochen gesprochen.
„Ein Wildschwein hat sein Leben lang gut gegessen und niemanden viel Fläche, Arbeit oder Geld gekostet.“
Vadim, wie würdest du deinen Stil beschreiben?
VADIM OTTO URSUSIch möchte so kochen, wie ich selbst gerne esse. Unsere Gerichte sind immer kräftig würzig, ich arbeite viel mit Röstaromen. Viele meiner Techniken sind relativ experimentell – am Ende soll aber einerreichbares Ergebnis dabei rumkommen, das nicht nur auf Leute abzielt, die sich viel mit Essen beschäftigen, sondern geschmacklich eine große Gruppe abholt.

Im otto sind also nicht nur Gourmets willkommen, sondern jeder?
VADIM OTTO URSUSDas otto soll ein kommunikativer Ort sein, an dem sich sowohl die Gäste als auch die Leute, die dort arbeiten, sehr wohlfühlen. Wir wollen ungezwungen und erschwinglich sein. Wir haben keine langen Tasting-Menüs, sondern eine kleine Karte, von der man frei wählen kann.
Ihr setzt auf regionale Produkte. Wieso ist dir das so wichtig?
VADIM OTTO URSUSAls ich nach meiner Zeit im Ausland zurück nach Berlin kam, habe ich durch einen sehr glücklichen Zufall ein kleines Grundstück in der Schorfheide mit einem Bungalow darauf bekommen. Von dort bin ich viel in die Natur gegangen, habe Sachen eingelegt, fermentiert und das Wissen, das ich in den letzten Jahren erlangt habe, auf Produkte in meiner Umgebung angewandt. Während dieser Zeit hat sich der Bungalow langsam in eine Produktionsküche verwandelt.
Ich finde es einfach logisch, die Sachen aus der direkten Umgebung zu nutzen. Wenn ich in Berlin bin, gibt es Produkte aus Berlin und Brandenburg. Wenn ich aber woanders bin, gibt es die Sachen von dort. Wenn ich auf Reisen bin, möchte ich regional essen. Durch die Tatsache, dass alles immer verfügbar ist, findet eine Übersättigung in der Gesellschaft statt. Ich möchte meinen Gästen vermitteln, was unsere Region ausmacht. Außerdem ist es meiner Meinung nach nur so möglich, einen wirklich engen und guten Kontakt zu den Leuten zu haben, die unsere Produkte produzieren. Wir arbeiten hauptsächlich mit Bio- und Demeter-Bauern zusammen, die in der Nähe des Bungalows ansässig sind.
Wie funktioniert nachhaltiges Kochen?
VADIM OTTO URSUSZum einen, indem man Lebensmittel nicht durch die ganze Welt schifft. Nachhaltiges Kochen heißt aber auch, möglichst wenig Lebensmittel wegzuschmeißen. Wir haben zum Beispiel eine Tonne, die zurück an die Bauern geht, um mit den Resten die Tiere zu füttern. Außerdem versuchen wir bei jedem Arbeitsprozess darüber nachzudenken, wie sich die Reste verwerten lassen könnten. Aus unseren Brotresten machen wir zum Beispiel Misopaste, aus Gräten und Fischresten einen Fond.
Wir stehen in direktem Kontakt mit den Produzenten und nehmen ihnen auch Überschüsse ab. Es geht nicht darum, sich immer nur die Perlen herauszupicken, sondern mit dem zu arbeiten, was gerade da ist. Dazu gehört es auch, die Lebensmittel haltbar zu machen, wenn sie nicht direkt verarbeitet werden können. Wir legen viel ein und fermentieren.
„Wir arbeiten mit dem, was gerade da ist.“
Für mich fängt nachhaltiges Kochen schon bei der Produktauswahl an. Wir verwenden hauptsächlich Wild, weil es so oder so geschossen werden muss. Ein Wildschwein hat sein Leben lang gut gegessen und niemanden viel Fläche, Arbeit oder Geld gekostet. Das ist für mich die nachhaltigste Weise, Fleisch zu essen.
Wie häufig wechselt ihr eure Karte?
VADIM OTTO URSUSWir haben auf unserer Karte ein Grundgerüst an Gerichten, die meist relativ gleich bleiben. Je nach Saison ändern sich nur die Beilagen oder gewisse Komponenten. Die restliche Karte wechselt alle paar Wochen – so wie es eben Sinn ergibt. Wenn ein Produkt nicht mehr verfügbar ist, muss ein neues Gericht her.
Bist du in der Küche kreativer, weil du nur mit regionalen Produkten kochst?
VADIM OTTO URSUSDefinitiv. Ich glaube, das ist auch der Grund dafür, wieso ich mich wirklich darauf beschränke, nur Produkte aus der Region zu nutzen. Es regt dazu an, Alternativen zu finden, die aber genauso viel Spaß machen. Wenn wir Käse machen, haben wir zum Beispiel viel Molke über, die wir einkochen. Am Ende haben wir dann eine wahnsinnig spannende saure Flüssigkeit, die wir statt Zitronen verwenden können.
In welcher Saison macht das Kochen am meisten Spaß?
VADIM OTTO URSUSIm Frühling, wenn die Kräuter langsam sprießen. Dann gehen wir auch selber ein- bis zweimal die Woche raus und sammeln Wildkräuter und hunderte von Blüten. Da kann man richtig schön in die Vollen gehen.
Jetzt kommt leider erstmal der Winter. Was ist aktuell dein Lieblingsgemüse?
VADIM OTTO URSUSAm meisten Spaß macht mir im Winter tatsächlich das, was ich im Sommer eingelegt habe. Fermentierte Tomaten und solche Geschichten. Ansonsten mag ich auch sehr gerne Grünkohl, Rote Beete und Schlehe.
Szegediner Wildgulasch mit Labneh
Labneh
Zuerst salzen Sie den Joghurt etwas. Anschließend füllen Sie ihn in ein Passiertuch und lassen ihn über Nacht im Kühlschrank über einer Schüssel abtropfen.
Am nächsten Morgen haben Sie cremigen, selbstgemachten, libanesischen Frischkäse, Labneh.
500 g Joghurt, vollfett
Gulasch
Für das Gulasch werden die Zwiebeln geschält, halbiert und anschließend in einer Pfanne in Schmalz gedünstet, bis sie weich sind und fast ansetzen. Geben Sie unter viel Rühren erst das Tomatenmark und anschließend das Paprikapulver hinzu, bis beides ebenfalls langsam ansetzt.
Währenddessen schneiden Sie das Fleisch vom Knochen, befreien es von dicken Fettschichten und würfeln es in walnussgroße Stücke. Vadims Tipp: Schmeißen Sie das Fett nicht weg, sondern bewahren Sie es für das nächste Mal auf, wenn Sie mit Schmalz kochen. Löschen Sie die Mischung mit Rotwein und Brühe ab und würzen mit ordentlich Salz, etwas Kümmel und einem Lorbeerblatt. Anschließend geben Sie das Fleisch hinzu und lassen alles zwei Stunden vorsichtig köcheln. Ab und an mal umrühren!
Währenddessen schälen Sie die Karotten und schneiden sie ebenfalls in walnussgroße Stücke. Nach Ablauf der Zeit geben Sie sie gemeinsam mit dem Sauerkraut hinzu und lassen alles eine weitere halbe Stunde köcheln. Danach kräftig abschmecken!
Laut Vadim muss ein gutes Gulasch mindestens dreimal ansetzen und eine Nacht durchziehen.
Ist Ihr Gulasch fertig, servieren Sie es mit einem guten Löffel Labneh und ein paar gekochten Kartoffeln oder Sauerteigbrot.
1 kg Zwiebeln
100 g Schmalz
200 g Tomatenmark
100 g geräuchertes Paprikapulver
300 ml Rotwein
300 ml Brühe
1 kg Wildschwein – am besten Nacken, Schulter oder Rippe ohne Knochen
400 g Sauerkraut
400 g Karotten
Lorbeer
Kümmel
Salz


Apfelröster mit Crème Anglaise und Haselnuss
Crème Anglaise
Zuerst wird das Eigelb mit der Milch, der Sahne und dem Zucker verrührt. Wichtig: die Masse soll nicht aufgeschlagen werden!
Anschließend wird sie in einer Schüssel über einem Topf mit leicht kochendem Wasser so lange unter Rühren erhitzt, bis sie eine Temperatur von 82 Grad erreicht. Wer kein Thermometer zur Hand hat, kann sich daran orientieren, ob die Masse dick genug ist, um damit einen Löffelrücken zu bedecken. Wenn Sie gegen den Löffelrücken pusten sollte außerdem eine Rose entstehen.
Die Masse nun durch ein Sieb gießen und kalt stellen.
4 Eigelb
100 ml Milch
100 ml Sahne
30 g Zucker
Karamellisierte Haselnuss
Für die karamellisierte Haselnuss rösten Sie die Haselnüsse für etwa fünf Minuten im heißen Ofen, bis die Schale leicht aufplatzt. Danach reiben Sie sie mit einem Geschirrtuch ab.
Geben Sie die Nüsse gemeinsam mit dem Zucker und etwas Wasser in einen Topf, wo sie so lange köcheln, bis der Zucker auskristallisiert ist und sich als gleichmäßiger, dünner Film aus braunem Karamell um die Nüsse zieht.
Anschließend geben Sie einen Spritzer Öl und etwas Salz über die Nüsse und lassen sie auf Backpapier auskühlen.
200 g Haselnüsse
50 g Zucker
Öl
Salz
Apfelröster
Für den Apfelröster heizen Sie den Ofen auf maximaler Hitze vor.
Parallel lassen Sie die Butter in einem Topf langsam schmelzen und braun werden. Danach stellen Sie sie zur Seite.
Jetzt schälen, vierteln und entkernen Sie die Äpfel und schieben sie auf einem flachen, mit Backpapier ausgelegten
Blech in den Ofen. Dort werden sie für etwa 15 Minuten geröstet, bis sie an den Ecken gut Farbe bekommen. Vadim sagt: Color is Flavour!
Im Anschluss verrühren Sie die Äpfel mit ein paar Esslöffeln brauner Butter.
Der Apfelröster wird warm mit der kalten Crème Anglaise und den karamellisierten Haselnüssen angerichtet. Prise Salz nicht vergessen!
5 Äpfel, zum Beispiel Boskop
100 g Butter

